Wir sind Digital Natives, wir sind mit dem Internet aufgewachsen. Nun wollen wir mehr darüber erfahren und lassen euch an unseren Erfahrungen teilhaben!

Dienstag, 3. November 2015

Digitale Transformation in der Musikindustrie

In unserem letzten Beitrag über die Zukunft haben wir kurz die Digitalisierung der Musikindustrie erwähnt. Die Musikindustrie befindet sich seit vielen Jahren mitten in der digitalen Transformation und hat diese anfangs von aussen betrachtet ziemlich verschlafen. In den letzten Jahren sind jedoch vermehrt Entwicklungen zu beobachten, die das Geschäftsmodell den neuen Rahmenbedingungen angepasst werden.

Die Anfänge
Die Digitalisierung begann in der Musikindustrie sehf früh. Ab Anfang der 80er Jahre wurde die bis dahin etablierte Schallplatte durch die Compact Disc ersetzt. Damit wurde Musik zum ersten Mal digital auf einem Datenträger gespeichert. Dieser Vorgang wurde von Anfang an durch die Musikindustrie unterstützt, schliesslich konnte hier jeder etwas mitverdienen. Die Menschen brauchten neue Abspielgeräte, CD-Hersteller konnten massenhaft Rohlinge absetzen und die Labels konnten die gleiche Musik noch einmal auf einem neuen Speichermedium verkaufen.

Napster und das Internet
Das komplette Gegenteil passierte, als in den späten 90ern Napster und ähnliche Dienste entwickelt wurden. Napster schaffte erste Möglichkeiten, um digitale Musik online auszutauschen. Das Ganze war natürlich urheberrechtlich nicht sauber, technologisch allerdings hätte Napster zum Wegbereiter für legale Angebote werden können. Napster wäre die klassische Silicon Valley Geschichte gewesen: ein junger Hacker ohne College-Abschluss schreibt ein Programm, das die Musikindustrie ins digitale Zeitalter bringt. Der wesentliche Unterschied zu den Erfolgsgeschichten wie Facebook oder Google ist, dass er damit einer Industrie auf die Füsse trat, die die Macht hatte, ihm das Handwerk zu legen.

Von einem grossen Player in einem Markt, der durch eine Technologie bedroht wird dürfte erwartet werden, dass alles unternommen wird, um auch zu den Gewinnern dieser Technologie zu gehören. Doch anstatt Napster aufzukaufen oder selber neue Wege der Musikdistribution zu entwickeln liessen sich die Labels auf einen jahrelangen Kampf gegen eine Technologie ein, die schon längst nicht mehr aufzuhalten war. Der Kampf galt allerdings nicht nur der Technologie sondern traf insbesondere auch deren Benutzer, potenzielle Konsumenten von Musik also. Jahrelang wurden Downloadzahlen mit einem durchschnittlichen Verkaufspreis multipliziert und munter behauptet, so gross sei der Schaden, der durch „illegale Downloads“ entstanden ist. Jeder, der schon einmal Musik gratis heruntergeladen hat weiss, dass dies natürlich viel zu einfach gerechnet ist. Erstens kann man nicht einfach behaupten, dass die ganze Musik die heruntergeladen wird sonst im Laden gekauft worden wäre. Wenn es nicht gratis ist geben Menschen einen begrenzten Teil ihrer begrenzten Mittel für Musik aus und müssen somit eine Auswahl treffen. Wenn es gratis ist laden sich viele gleich die ganze Diskografie eines neu entdeckten Künstlers herunter und hören dann trotzdem nur die drei Songs, die im Radio laufen. Natürlich entsteht hier ein Schaden für den Künstler, ihn aber auf den Preis der gesamten Diskografie zu beziffern entspricht trotzdem nicht der Realität. Der positive Effekt von Gratisdownload wird zudem komplett ignoriert. Dank dem Internet kann Musik sofort und auf der ganzen Welt geteilt werden. Diese Reichweite war früher nicht denkbar und sollte nicht ignoriert werden.

Apple und Spotify
Weil also die Labels, deren Existenzgrund eigentlich der Vertrieb von Musik ist, keine neuen Vertriebskanäle zu etablieren vermochten konnten neue Player wie Apple und später Spotify die Rolle des disruptiven Innovators übernehmen und den Labels einen Teil ihrer Einnahmen streitig machen. Apple gelang es, mit der Lancierung des iPods und dem iTunes Store, legale Musikdownloads massentauglich zu machen.


Spotify gelang einige Jahre später das gleiche im Streamingbereich. Wie Apple war auch Spotify nicht das erste Angebote seiner Art, sie waren jedoch beide die ersten, die sich damit richtig durchsetzen konnten. Die Musiklabels haben sich also eine riesige Chance der Digitalisierung entgehen lassen und lockten so neue Anbieter auf ihren sicher geglaubten Markt. Wer sich der Digitalisierung zu widersetzen versucht oder sie ignoriert wird früher oder später von ihr aufgefressen.

Mittlerweile hat sich die Musikindustrie einigermassen mit den Veränderungen arrangiert und versucht tatsächlich, mit den neuen Rahmenbedingungen zu arbeiten anstatt der Vergangenheit nachzutrauern. Nach wie vor herrscht bei Vielen Konsens darüber, dass Spotify und ähnliche Dienste grundsätzlich schlecht für die Künstler sind. Für viele Künstler mag dies stimmen, die Aussage kann aber nicht als allgemeingültig stehen gelassen werden. Forscher der University of Michigan untersuchten den Einfluss von Spotify auf Verkaufs- und Downloadzahlen. Dazu analysierten sie, wie sich die Anzahl Verkäufe und illegale Downloads in Regionen veränderten wo Spotify neu lanciert wurde. Die Studie kommt zum Schluss, dass der Einfluss von Spotify auf den Gesamtmarkt minim ist. Die Einbussen bei physischen Verkäufen werden zu einem grossen Teil durch Streamingeinnahmen kompensiert, ausserdem nahmen in den untersuchten Regionen auch die illegalen Downloads ab, Streamingdienste haben also das Potenzial, nicht zahlende Hörer zu zahlenden Kunden zu machen. Natürlich gelten diese Erkenntnisse nur für den Markt als Ganzes. Kleinere, unbekannte Künstler können mit den Rappenbeträgen pro Stream tatsächlich nicht das grosse Geld machen weil sie schlicht zu wenig gehört werden. Was allerdings konsequent ignoriert wird ist die Tatsache, dass Streamingdienste natürlich nicht auf einen Schlag 20 Franken für ein Album umsetzen, dafür bei jedem weiteren Abspielen weiterhin Geld in die Kasse spülen. Wird ein Titel in 20 Jahren immer noch gehört dann generiert er auch in 20 Jahren immer noch Umsatz. Es ist durchaus denkbar, dass Streamingdienste langfristig sogar mehr Umsatz bringen als der einmalige Verkauf einer CD. Auch wenn es eher unwahrscheinlich erscheint kann das heute noch nicht ausgeschlossen werden.

Musik allein reicht nicht mehr
Weil mit dem reinen Verkauf von Musik nicht mehr so viel verdient werden kann wie früher versuchen viele Künstler oder ihre Labels mit anderen Produkten, die nicht einfach heruntergeladen werden ihr Einkommen zu sichern. Einer von vielen Trends, der in den vergangenen Jahren immer wichtiger wird sind Premium Edition Boxen. In der deutschen Rapszene erscheint beispielsweise praktisch kein Album mehr ohne T-Shirts, Poster, Schlüsselanhänger oder auch nicht veröffentlichte Titel oder Live-DVDs. Die ersten Künstler dieser Szene, die mit solchen Boxen angefangen haben wurden vor einigen Jahren noch belächelt. Weil mittlerweile jeder so eine Box anbietet kann man davon ausgehen, dass es sich lohnt. Die Zielgruppe von Deutschrap ist grösstenteils mit Gratisdownloads aufgewachsen und ist nicht bereit für eine simple CD, für die sie oft nicht einmal mehr über ein Abspielgerät verfügen Geld auszugeben. Dafür sind junge Menschen umso eher bereit, Geld für Produkte auszugeben, die ihrer Bewunderung für einen Musiker Ausdruck verleihen.


Beispiel einer "Limited Special Edition" der Band K.I.Z.


Die Digitalisierung hat die Musikindustrie in den letzten 15 Jahren hart durchgeschüttelt. Musiker und Labels müssen sich viel Mehr Gedanken machen, wie sie Geld einnehmen können als früher. Dafür ist es viel einfacher geworden, Bekanntheit und Reichweite aufzubauen, was wiederum neue Möglichkeiten schafft. Aus dieser Geschichte sollte man sicherlich mitnehmen, dass sich der Kampf gegen eine Technologie nicht lohnt. Wären die ganzen Mittel, die in die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen investiert wurden in die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle geflossen hätte die Innovation vielleicht nicht von aussen kommen müssen, sondern die Branche hätte sich selber weiterentwickeln können.

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