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Dienstag, 20. Oktober 2015

„Facebook ist unehrlich und schleimig“ – Kommentar

Vor einigen Wochen veröffentlichte die Handelszeitung ein Interview mit dem Internetkritiker Andrew Keen. Dieser holt darin zum Rundumschlag aus und liefert einige interessante Denkanstösse. Allerdings trieft das Interview auch vor Kulturpessimismus und gibt dem Internet die Schuld für Probleme, die schon viel länger existieren.

Gleich in seiner ersten Antwort behauptet Keen, dass das Internet zu Ungleichheit führt und zur Zerstörung der Mittelschicht beiträgt. Diese Aussage lässt er ohne Erklärung oder Belege stehen. Seine nächste These, dass das Internet zu einem Wirtschaftssystem führt, in dem alles überwacht und kontrolliert wird ist allerdings kaum abzustreiten. Hier hat er sicherlich Recht, auch einige Abschnitte später, wo er erklärt, wie Internetfirmen aus unseren Daten Geld machen. Er sagt, dass die meisten Menschen mit dieser Art der Überwachung eigentlich nicht einverstanden sind, sie aber trotzdem akzeptieren. Dieser Widerspruch zwischen Denken und Handeln besteht bei vielen Menschen. Immer mehr sind sich der zunehmenden Überwachung bewusst, allerdings ist es doch sehr mühsam, komplett auf Google, Facebook und ähnliche Dienste zu verzichten. Man schliesst sich mit einem Boykott selber zu einem gewissen Grad von der Gesellschaft aus. Gruppendruck und die Nützlichkeit der Dienste bringen die meisten dazu, den Preis in Form ihrer persönlichen Daten zu zahlen. Dies dürfte nicht zuletzt auch noch damit zu tun haben, dass sich wohl die wenigsten Leute bewusst sind, welchen Wert schon vermeintlich banale Daten haben können. Schnellere Computer und komplexere Auswertungstools erlauben es, immer mehr Wissen aus angesammelten Informationen zu extrahieren. Schon aus reinen Verbindungsdaten (beispielsweise wer hat wann mit wem wie lange telefoniert) lassen sich unter Umständen Schlussfolgerungen machen, die viel mehr über den Betroffenen aussagen als sich dieser bewusst ist. 

Die Menschen sind sich bewusst, dass in sozialen Medien möglicherweise nicht nur echte Freunde mitlesen, der Preis des Boykotts ist den meisten aber trotzdem zu hoch.
(Quelle: 
http://cdn4.spiegel.de/images/image-729263-breitwandaufmacher-vnye.jpg)

Im nächsten Abschnitt verwechselt Keen dann die grundsätzlichen Probleme unseres Wirtschaftssystems mit den Problemen des Internet. 

„Der Kern der digitalen Ökonomie ist, dass der Gewinner alles nimmt und neue Monopole entstehen.“ 

Die Tendenz, dass sich Monopole bilden, die nach Belieben handeln und sich über staatliche Regulierung hinwegsetzen gibt es nicht nur im Internet. Die Tendenz zur Monopolisierung besteht in der auf Wachstum angewiesenen Marktwirschaft seit eh und je. Zusammenschlüsse und Firmenkäufe führen zu Effizienzsteigerung, dies erhöht zudem die Eintrittsbarrieren für neue Konkurrenten. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist dies eine logische Vorgehensweise, aus Konsumentensicht ist sie weniger erfreulich. Allerdings hat die digitale Ökonomie in diesem Zusammenhang sogar einen Vorteil gegenüber der traditionellen. Um mit digitalen Angeboten in Märkte einzusteigen sind oft nur geringe finanzielle Mittel und kaum Infrastruktur notwendig. Viele Internetunternehmen, die heute erfolgreich sind haben mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln begonnen und konnten zu Beginn schwindelerregende Wachstumsraten vorweisen. In diesem Punkt muss man Keen allerdings auch Recht geben, wenn er relativiert, dass solche Geschichten doch eher Ausnahmen sind.

Im Wesentlichen wird hier einmal mehr eine Technologie für ein Problem verantwortlich gemacht, das schon immer existiert hat. Natürlich kann das Internet diese Probleme verstärkt zur Geltung bringen, die Ursache ist es aber trotzdem nicht. 

„Als – ironischerweise – ehemalige Google-Mitarbeiter begannen, ein Programm anzubieten, das Werbeanzeigen im Netz blockiert, und ihre App für die Android-Plattform offerieren wollten, hat Google alles darangesetzt, diese App zu unterbinden. Das zeigt, dass Google seinen Einfluss in verschiedenen Märkten nutzt, um sein Geschäftsmodell zu promoten. Das ist ein grosses Problem.“ 

Diese Aussage ist eigentlich eine Kritik am unterregulierten Kapitalismus und hat nichts mit dem Bereich, in welchem das Geschäftsmodell angesiedelt ist zu tun. Diese Aussage kann genauso über die Rohstoff- oder Pharmabranche gemacht werden.

Dasselbe gilt für den Angriff auf Facebook und dessen Chef Mark Zuckerberg. 

„Zuckerberg spricht stets davon, wie er die Welt verbinden will. Das macht er nur aus einem Grund: Damit sich jeder auf Facebook anmeldet und so der Wert des Unternehmens noch weiter steigt.“ 

Dieser Vorwurf kann an jedes profitorientierte Unternehmen gerichtet werden. Wer Profitmaximierung in einzelnen Unternehmen kritisiert ist scheinheilig. Das Streben nach maximalem Erfolg ist bei uns gesellschaftlich akzeptiert und wirtschaftspolitisch (mit gewissen Einschränkungen) legitimiert. Wenn Facebook dieses „schleimig und unehrliche“ Spiel mitspielt ist es noch lange nicht dessen Ursache.

Weiter gehts mit Kulturpessimismus. Die Argumentation, dass durch Digitalisierung viele Jobs verloren gehen könnten ist sicherlich richtig. Weiter behauptet Keen, dass durch die Digitalisierung „nur wenige“ neue Jobs entstehen. Zwar ist ihm bewusst, dass die künstliche Intelligenz uns schon bald ein- und überholen wird. Er sieht diese Entwicklung aber ausschliesslich als Bedrohung, insbesondere für unsere Arbeitsplätze. Er kann sich nicht vorstellen, dass Menschen auch ein glückliches Leben führen können wenn sie statt 9 nur noch 4 Stunden pro Tag im Büro verbringen. Er versucht, die Digitalisierung in unsere bestehende Gesellschaftsordnung hineinzupressen, anstatt sie als Chance und Treiber einer Weiterentwicklung zu sehen. Das Festhalten an Strukturen hat sich in der Vergangenheit allerdings selten als gute Idee erwiesen. Im Zeitalter der Industrialisierung hatten die Menschen zurecht Angst, ihre Arbeitsplätze und ihr Einkommen zu verlieren. Dies ist zweifellos auch vielen widerfahren. Allerdings wurden auch völlig neue Betätigungsfelder geschaffen, der Wohlstand und das Pro-Kopf-Einkommen nahmen deutlich zu und es entstanden erste Gesetze zum Schutz der arbeitenden Bevölkerung. 

Zunahme des Pro-Kopf-Einkommens, angetrieben durch die industrielle Revolution

Die Gesellschaft hat sich, angetrieben durch die Industrialisierung, in verschiedenen Bereichen weiterentwickelt. Strukturwandel hat es immer gegeben und es wird ihn immer geben. Natürlich kann man nicht mit Sicherheit davon ausgehen, dass das Internet auch zu gesellschaftlichen Entwicklungen, die der Bevölkerung zu Gute kommen führt. Man kann sich aber auch nicht gegen den Fortschritt wehren. Wie Keen zu sagen 

„Ich halte nichts von dem Argument, dass, nur weil es in der Vergangenheit so war, es auch in der Zukunft so sein wird.“ 

ist ziemlich arrogant und kurzsichtig.


Man wird den Menschen vermutlich nie oder noch lange nicht komplett wegrationalisieren können, allerdings wird sein Anteil an der Wertschöpfung abnehmen. Dies bringt natürlich gewisse Risiken. Unternehmen werden jedoch die Menschen nur aus dem Herstellungsprozess entfernen, wenn sie damit effizienter werden als sie es sonst wären, wenn also mit weniger menschlichem Input gleich viel oder mehr Output generiert wird. Am Ende bleibt theoretisch mehr Wohlstand, für den die Menschen weniger arbeiten müssen. In der Verteilung lauert natürlich die grösste Gefahr, die Unternehmen werden versucht sein, möglichst viel von diesem Kuchen bei sich zu behalten. Keens Kampf gegen Grosskonzerne müsste eigentlich hier ansetzen und für eine gerechte Verteilung kämpfen anstatt einzelne technologische Entwicklungen für Ungerechtigkeit in der Gesellschaft verantwortlich zu machen.

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